Vom Menschen geschaffen

Lebensräume aus 2. Hand

Manchmal entstehen neue Lebensräume unbeabsichtigt infolge menschlicher Eingriffe in die Landschaft, sozusagen aus zweiter Hand. Der Mensch hat seit jeher durch sein Wirken die ihn umgebende Natur beeinflusst, mitgestaltet, Biotope zerstört und durch Veränderungen unbeabsichtigt andere geschaffen. Schon die ersten sesshaften Bauern schufen mit ihren Rodungen allmählich eine neue Landschaft mit Offenlandlebensräumen. Diese konnten von Tier- und Pflanzenarten besiedelt werden, welche in der ursprünglichen mitteleuropäischen Waldlandschaft keinen oder nur wenig Platz hatten.

Abbaugebiete - Konfliktpotenzial und Chance

Der Abbau von Lehm, Ton, Kies oder Sand stellt zunächst einen Eingriff in den Naturhaushalt dar. Und nicht selten gehen damit direkt oder indirekt naturnahe Lebensräume verloren. In Folge der Abbautätigkeiten entstehen dann jedoch oftmals Flachgewässer sowie vegetationsfreie Trocken- oder Nassstandorte, die von Pionierarten besiedelt werden können. Diese Lebensraumtypen sind in unserer Landschaft allesamt rar. Von Hochwasser-, Sturm- und Feuerereignissen abgesehen, verlaufen in unserer Kulturlandschaft keine Prozesse, bei denen natürlicherweise neue Lebensräume entstehen. So haben die Abbaufolgeflächen, die nach der Ausbeutung einer natürlichen Sukzession überlassen werden, immer auch das Potenzial, etwas Besonderes hervorzubringen und sich zu wertvollen Sekundärlebensräumen zu entwickeln. Der Erfolg hängt davon ab, welche standörtlichen und morphologischen Voraussetzungen die Fläche aufweist, um spezialisierten Arten Ansiedlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Auch die Lage und Entfernung zu anderen Biotopen ähnlichen Typs im Umfeld, von denen eine Neubesiedlung ausgehen kann, hat Einfluss auf die Entwicklung. Ein prominentes Beispiel sind die Kissinger Bahngruben, welche nahe der Kissinger Heide im Zuge des Bahnbaus durch Oberbodenabtrag entstanden und sich innerhalb weniger Jahrzehnte vom Rohboden zu einem floristischen Schatzkästchen entwickelt haben.

Sind die Voraussetzungen gegeben, wirkt es sich in der Regel vorteilhaft aus, wenn auf eine herkömmliche Rekultivierung verzichtet wird und eine intensive Folgenutzung unterbleibt. Werden etwa steile, sonnenexponierte Abbauböschungen nivelliert, magere Pionierstandorte mit Oberboden abgedeckt und einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt, so wird ein hohes naturschutzfachliches Potenzial verschenkt. Werden strukturreiche Abbaugewässer vollständig zu Freizeitzwecken umgestaltet, bleibt wenig Platz für störungsempfindliche Arten. Zielführend sind hier Planungskonzepte, die mit Augenmaß zwischen den verschiedenen berechtigten Interessen vermitteln.

Natur im Wohnumfeld

Innerhalb von Siedlungen profitieren viele Arten von der strukturellen Vielfalt, die in der land- und forstwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft nicht in diesem Maße vorhanden ist. Die Häufigkeit von Vögeln in Städten übertrifft die des Umlandes bei weitem. Auch die an Tagfaltern und Pflanzen reiche Artengarnitur großer Städte findet in den intensiv landwirtschaftlich genutzten Fluren keine Entsprechung.

Gebäude, Bäume, offene Rasenflächen, Hecken und Wasserläufe wechseln sich kleinteilig auf engstem Raum ab. Sie bieten Unterschlupf- und Nistmöglichkeiten sowie ein zusätzliches Nahrungsangebot. Zudem weisen Siedlungsräume Arten auf, die in der freien Landschaft fehlen. Die Rosskastanie wurde angesiedelt, andere breiten sich ohne unmittelbares Zutun des Menschen aus, darunter manche Neophyten wie Springkraut und Goldrute.

Gerade auch Gebäude können als Lebensraum von Bedeutung sein. Rauch- und Mehlschwalbe, Hausperling und Mauersegler profitieren von den geschützten Nistplätzen in Mauernischen und unter Dächern ebenso wie mehrere Fledermausarten.

Temporäre Ruderalflächen, die etwa im Zuge von Bauvorhaben durch Bodenabtrag entstehen, können binnen kürzester Zeit von Arten der Spontanvegetation besiedelt werden und sich als blütenreiche Staudenfluren darstellen.

Eine zweite Chance für die Natur

Seit geraumer Zeit wird der Renaturierungsökologie große Bedeutung beigemessen. Geschädigte Biotope lassen sich zwar nur bedingt reparieren. Doch wurden schon viele Erfolge damit erzielt, Biotope zu erhalten oder deren Entstehung zu initiieren. Manch ein verloren gegangener oder geschädigter Lebensraum konnte durch entsprechende Pflegemaßnahmen wieder hergestellt werden. Ebenso gelangen Biotopneuanlagen im Wittels-bacher Land, etwa die an verschiedenen Orten im Lechtal vorgenommene Umgestaltung von Äckern zu Magerrasen oder die Anlage von Feuchtbiotopen in Bachtälern des Hügellandes.

Titelbild: Durch Abbautätigkeiten schafft der Mensch neue Lebensräume, die in der umgebenden Landschaft in dieser Form sonst nicht vorkommen. Der weiche, offene Boden der Steilwand wird von Vögeln und Insekten gleichermaßen genutzt, um Höhlen anzulegen. Foto: Stefan Gerstorfer

Bild oben: Der Bienenfresser ist bei uns auf Steilwände alter Sand- und Lehmgruben zur Anlage seiner Bruthöhlen angewiesen. Hier hat er eine Braune Mosaikjungfer (Aeshna grandis) erbeutet. Foto: Gerhard Mayer

Bild Mitte-oben: Junge Uferschwalben am Eingang ihrer Bruthöhle. Der seltene Vogel ist auf das Vorhandensein solcher Wände angewiesen. Foto: Gerhard Mayer

Bild Mitte-unten: Uferschwalben haben ihre Bruthöhlen in die Steilwand der ehemaligen Sandgrube bei Immendorf gegraben. Foto: Gerhard Mayer

Bild unten: Aufgelassene Sandgrube bei Zahling. Foto: Stefan Gerstorfer